Schreibangst und ein ramponiertes Selbstbild

„Mir wäre schon sehr geholfen, wenn Sie mir die Angst vor der eigenen Handschrift nehmen würden oder die Angst davor wenigstens merklich reduzieren könnten, weil das bedeuten würde, dass ich mich in meinem Beruf und auch sonst wesentlich wohler fühle“, das schrieb mir ein 40-jähriger Ingenieur aus der Schweiz. Und er legt damit den Finger genau in die Wunde, um die es bei Erwachsenen geht, denen ihre eigene Handschrift unangenehm ist. Er hat ein Problem im Beruf und auch sonst. Sein Selbstbild, sein Image ist im Keller. Es geht diesen Menschen – und davon gibt es mindestens 20 Millionen in Deutschland – nicht und nie um Eitelkeit, also nicht darum, dass sie schön schreiben möchten – das wäre viel zu hochgegriffen. Sie beanspruchen, und das dürfen Sie sich gern auch körperlich vor Augen führen, nur ein Minimum an seelischer Sicherheit.

Es geht diesen Menschen um die Überwindung eines diffusen Angstgefühls. Eine Art Bedrohung, die mit gefühltem Imageverlust und Persönlichkeits-Defizit verbunden ist. Mich erschüttert dabei immer die Verzweiflung, die diese Menschen mit sich herumtragen. Denn die geht ganz oft mit ausgeprägter Prüfungs-Angst einher. Charakteristisch ist auch ein starkes allgemeines Minderwertigkeitsgefühl. Und körperlich spürbar sind Herzklopfen und Schweißausbrüche, sobald etwas geschrieben werden muss.  Diesen Menschen geht es allein um die Überwindung eines Traumas, um das Beenden einer jahrelangen seelischen Belastung. Wer unter Schreibangst leidet…der nimmt freiwillig keinen Stift mehr in die Hand. Auch nicht, wenn es sich um ein Prestige-Objekt handelt. Ein Füller ist kein Autoschlüssel. Er könnte spontan in die Situation geraten, damit schreiben zu müssen. Und nichts fürchtet er mehr – als DAS! Er meidet Schreibgeräte folgedessen wie der Teufel das Weihwasser. Bis er zu mir kommt.

Leider kann ich an dieser Stelle nicht demonstrieren wie es mir gelingt, Schreibangst in Freude am Schreiben umzuwandeln und bei manchem außerdem in künstlerische Schöpferkraft. Sogar das. Denn angstfreies Hantieren mit Stiften setzt Kreativität frei. Ich frage mich deshalb oft, ob diejenigen, die Kindern in der Grundschule statt der Schreibschrift das Keyboarding beizubringen beabsichtigen, jemals darüber nachgedacht haben, ob sich zum spontanen Skizzieren und Fixieren eigener Ideen besser Stift und Papier oder besser Tastatur & Bildschirm eignen. Fragen Sie mal Schriftsteller, ob sie beim Denken lieber an der Taste oder lieber am Stift kauen. Bleistift oder Tastatur heißt in diesem Fall Kopf oder Zahl und bedeutet: glücklich sein, fließend schreiben und denken dürfen oder: Akku aufladen. Dann doch wohl lieber Kopf. Aber nun Spaß beiseite. Es geht ja um Ihr Image das Sie verbessern möchten.

In den Menschen, die mit 40 Jahren plötzlich das Schreiben und ihre eigene Handschrift entdecken dürfen, vollzieht sich – auch nach außen hin sichtbar – eine positive Wandlung. Denkt man an den Spruch: „Handschrift ist Ausdruck der Persönlichkeit“, dann ist das absolut nachvollziehbar. Das schlechte Gefühl einer schlechten Handschrift schlägt sich nämlich nicht nur in der Schrift selbst, sondern auch in den Augen nieder. Der richtige Ausdruck einer klaren Handschrift, als positives Merkmal ihrer Ausstrahlung, hat ihnen 40 Jahre lang gefehlt. Und wenn er dann plötzlich da ist – der ersehnte Ausdruck – dann öffnet sich ein ganz neues Territorium. Kreativität ist das glücklich machende Synapsen-Spiel intuitiver Spontanität. Das heißt, hier ist Echtsein gefordert. Authentisch und drauf los! Was gibt es Befreienderes?

Die neu gewonnene Kreativität und Empathie – beides fällt bekanntlich ja auch mit unter den Begriff „emotionale Intelligenz“ – manifestieren Ihre Souveränität, und sorgen für eine positive Ausstrahlung. Wer das Schreiben beherrscht, wie eine natürliche Eigenschaft, der steht im Leben einfach besser da.