Denken ist DIE pädagogische Grundlage der Schulen – und Schreiben ist die Königsklasse der Pädagogik.
Ohne Gedanken ist Bildung nicht möglich. Gedanken müssen fixiert werden, um nachhaltig bestehen zu können. Man schreibt sie auf. Schreiben ist also die Basis aller Bildung.
Das heißt: Aufschreiben ist Denkschreiben oder Schreibdenken – also Denken und Schreiben in Einem (2 in 1), zwei in einem Federstrich. Gedankenfluss und Schreibfluss sollten also
möglichst synchron verlaufen. Das können sie nicht, denn Denken ist schneller als Schreiben, weil wir in fertigen Wörtern formulieren und nicht – wie bei der Druckschrift und dem Tastschreiben, die Wörter aus Einzelbuchstaben zusammensetzen müssen. „Tipper“ und „Drucker“ sind die „Wegschnecken des Schreibprozesses“. Sie bleiben auf der Strecke, sobald es um Leistungsoptimierung geht.
Beide, die Fließgeschwindigkeit der Gedanken und die Geschwindigkeit der Handbewegung müssen zu einem dualen System verschmelzen. Das heißt, sie werden cerebral-motorisch oder besser: „hirn-händisch“ selbsttätig miteinander verknüpft. Aus dieser Verbindung entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Hand-schreib-Technik, die das Fixieren der Gedanken entschieden erleichterte: die Technik des manuellen Verbindens spezieller Schriftzeichen. Mit großem Erfolg: das Alphabet der lateinischen Schreibschrift begann ihren Siegeszug vor mehr als 500 Jahren und wurde die Schrift der Gelehrten genannt. Gedanken konnten von nun an flott per Hand und mit einem Stift in persönlicher Handschrift aufgeschrieben werden.
Das Alphabet der lateinischen Schreibschrift ist das Ausgangsmaterial für die Technik des Handschreibens, also dem Fixieren fließender Gedanken in eigener Schrift. Und weil diese Art des schreiben Lernens, ein spezielles, ergonomisch und physiologisch durchdachtes und obendrein leicht zu erlernendes Alphabet erfordert, ist das Design der lateinische Schulschreibschrift so, wie es seit 1953 zur Verfügung steht: schnörkellos und leicht variierbar.
Die lateinische Schulschreibschrift ist als einziges Alphabet „dynamisch“, weil es im Gegensatz zu allen anderen Schriften, so konzipiert ist, dass es zum Verändern durch kleine Kinderhände geeignet ist. Alle anderen Alphabete sind „statisch“. Das heißt, sie taugen nicht für händisches Schreiben, geschweige denn zum Variieren. Die lateinische Schreibschrift ist also die Handschrift-Vorlage für jedermann – sprich: für jedes Kind. Sie ist eine „Ausgangsschrift“. Die Handschriften, die die Kinder davon ableiten, können der Vorlage nicht 1:1 entsprechen und sollen es auch nicht. Demzufolgekommt der Optik der persönlichen Kinderschrift eine besondere Rolle zu. Der Handschriftduktus, die „typische Handschrift“ der Kinder entsteht quasi selbsttätig aus der Harmonie heraus, sobald die Hirn-Hand-Bewegung und die Lesbarkeit übereinstimmen. Schreiben geht dann leicht von der Hand. Das ist das Ziel. Die lateinische Schreibschrift ist ein Medium, das den Menschen ermöglicht, die mental-manuelle Reflektions-Technik „Handschrift“ zu beherrschen und überall ausüben zu können.
Das bedeutet: praktizierter Handschrift-Erwerb ist DAS Zeichen pädagogischer Verantwortung.
Die Buchstaben der Schulalphabete Druck- bzw. Grundschrift und die der sogenannten Vereinfachten Ausgangsschrift, werden nicht in „einem Zug“ geschrieben und auch nicht verbunden, sondern aus senkrechten, diagonalen und runden Teilsegmenten gebildet und aus unverbundenen Einzelzeichen nach dem „Baukastensystem“ aneinandergereiht. Dies permanente Anheben und Absetzen des Stiftes führt zu Bewegungsunterbrechungen, die den Fließanspruch des Schreibens konterkarieren. Zu fließendem „Denkschreiben“ (im Sinne intellektueller Leistungsoptimierung) sind sie nicht geeignet.
So, wie die lateinische Schreibschrift immer ein Zeichen für Bildung und Fortschritt ist, so ist die Druck-bzw. „Grundschrift“ (gemäß der Freinet-Didaktik) das Zubehör einer kommunistisch-sozialistischen Ideologie für „Kinder der Unterdrückten“ aus den 1920er Jahren, mit dem Credo „Kindern das Wort geben – egal wie sie schreiben, ohne Regeln und ohne Vorschriften “.
Das daraus resultierende ersatzlose Streichen des Schreibunterrichts in der Grundschule vor über vier Jahrzehnten und der damit verbundene Verdrängungsprozess der lateinischen Schreibschrift, verursachten ein desaströses Bildungsdefizit: 14% (7,5 Millionen) erwerbstätige „funktionale“ Analphabeten in Deutschland! Mit steigender Tendenz. Der volkswirtschaftliche Schaden ist nicht abzusehen.
Deshalb ist die Wiedereinführung des Schreibunterrichts ab Klasse 1 und die Rückkehr zur lateinischen Schreibschrift aus wissenschaftlicher, bildungspolitischer und pädagogischer Sicht unbedingt erwünscht. Physiologen, Neurobiologen und Psychologen bestätigen dies und unterstützen diese Forderung.
Denn Denken – darin sind wir uns ja alle einig – Denken ist DIE pädagogische Grundlage der Schule und Schreiben ist die Königsklasse der Pädagogik.
Ich bin sicher, alle Grundschullehrerinen würden sehr gern und erfolgreich Handschrifterwerb unterrichten, gäbe es einen Lehrstuhl für Handschrift- und Rechtschreib-Didaktik.
Die Handschrift stirbt mit dem letzten Menschen. Vorher ganz bestimmt nicht.
Der ausführliche Text ist in Arbeit.
Kommentare nehmen wir dennoch gern entgegen …
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Podcast „Schreibgeflüster“ mit Claudia Sprinz
Lehren heißt Erklären! Besonders beim Schreiben lehren.
Einer der Wissenschaftler, die unsere Theorie bestätigen ist Gerald Hüther
Interview zum Welttag des Briefschreibens 1.9.2022 für Fa. Hach „Schreiben mit der Hand ist Denken auf Papier“
HACH: Liebe Frau Dorendorff! Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit haben und uns in die Welt der Schrift und des Schreibens entführen wollen. Wann haben Sie Ihren letzten handgeschriebenen Brief verfasst? Welches Schreibgerät haben Sie verwendet?
Susanne Dorendorff: Es war ein 26-seitiger Brief an Doris Dörrie. Ihr Buch Leben.Schreiben.Atmen (zum Thema kreatives Schreiben) hat mich inspiriert, sie darauf aufmerksam zu machen, dass das Alphabet nicht (wie sie in Talkshows gern behauptet) lediglich aus 26 Buchstaben besteht. Ein paar mehr sind es schon: 59 (für Deutsch im Spanischen ist es etwas anders).
Ich habe mit Füller geschrieben. Meine Tinten mixe ich selbst. Die Tinten an Dörrie war Lindgrün. Die Farbe der Tinte wirkt – ebenso wie der Duktus der Handschrift – suggestiv auf die unbewusste Empfindung des Lesenden. Hat also große Bedeutung. Denken Sie an das fiese Rot der Lehrerinnen! Die steckt dem meisten Schülern bis ins Greisenalter in den Knochen.
HACH: Handgeschriebene Zeilen werden immer seltener.
Susanne Dorendorff: Das sehe ich anders. Vor dem Computer gab es die Schreibmaschine, die machte damals genauso einen Wirbel wie der Computer. Das Schreiben mit der Hand stirbt aus. Kein bisschen! Die hirnrissig und nahezu ununterbrochene Tipperei auf Handytasten, inkl. angebotenen Silben und Wörtern sind kein Maßstab für den Vergleich viel mehr (tippen) versus viel weniger (schreiben).
HACH: Mittlerweile gibt es sogar Spracherkennung Assistenzsysteme, die das gesprochene Wort in Schriftzeichen übertragen. Immer weniger Menschen schreiben deshalb mit den Tasten, geschweige denn mit der Hand. Wird die Handschrift in den nächsten Jahrzehnten zum immer selteneren Kulturgut?
Susanne Dorendorff: Eine neue Technik beunruhigt die Menschen seit Menschengedenken, wie jetzt die Digitalisierung. Doch keine Angst, sie befruchten sich gegenseitig:
Beides heißt Schreiben. Und das ist auch gut so. Denn beide gehen nebeneinander her wie zwei Beine. Wir laufen schließlich auch auf zwei Beinen ins Ziel, und humpeln nicht auf nur einem über die Linie.
Handschrift und Tippen sind wie Yin & Yang, wie Forschung und Lehre: Die eine ist die Struktur, der andere ist der Mensch. Sie brauchen sich. Gegenseitig. Sie sind einander ein gigantischer Gewinn. Jeder, der sie beherrscht, weiß das.
Die Basis beider Schreibtechniken ist das Denken. Schreiben mit der Hand ist Denken auf Papier. Schreiben auf der Tastatur ist Denken digital.
Darum ist und bleibt der Wille des schreibenden Menschen das Maß aller Gedanken. Sagen wir mal so: Du gehörst zu denen, die eine eigene Handschrift haben. In allem. Du lässt dich nicht täuschen, du lässt dir nicht reinreden. Du schreibst mit der Hand. Der Politik zum Trotz, die das Handschreiben seit fünfzig Jahren torpediert. Du schreibst weiter. Du bist autark. Du besitzt einen Schrank voller Notizbücher. Du gehörst zu den Scharfsinnigen, den Kreativen, den Zukunftsfähigen. Du bist der Mensch, der die Technik beherrscht und nutzt. Du erkennst in deiner Handschrift dich selbst, deine Gefühle, deine Leistung und deinen Erfolg.
Mit deiner Handschrift bist du dir nah. Jeden Tag.
HACH: Auch wenn es im Berufsleben immer digitaler wird, viele Karriereratgeber betonen die Wichtigkeit einer guten Handschrift. Kann die Handschrift wirklich etwas über die Persönlichkeitsstruktur, über Charisma und beruflichen Erfolg aussagen?
Susanne Dorendorff: Tatsächlich fürchten viele Menschen (jeden Bildungsstands) genau DAS: die Handschrift verrät meinen (schlechten) Charakter! Das ist Quatsch.
Handschriftliches kann Ausdruck der Persönlichkeit des Schreibenden sein. Aber der Duktus der Handschrift wird lediglich subjektiv, also angenehm oder unangenehm empfunden werden. Mehr nicht. Wissenschaftliches Erforschen ist hier wohl angebracht.
Handschrift entsteht durch spontane Bewegungen, die weder kalkulierbar, noch analysefähig sind. Es sind emotionale Reaktionen, die sich nicht voraussagen lassen, weil sie intuitiv ablaufen. Sie bilden also keine feststehende oder unveränderbare Größe. Das einzig Zuverlässige an der Charakterlichkeit des Menschen ist seine Unberechenbarkeit, seine Spontaneität, also seine unergründliche Wandelbarkeit.
Kein zuverlässiger Mensch ist immer zuverlässig, und kein Pionier ist durchgehend mutig. Gefühlsbetonte Handlungen kann man nicht als vorhanden und immerwährend bezeichnen oder sie sogar als zuverlässig eintreffende Impulse erwarten, denn sie sind so launenhaft wie die Stimmungen der Menschen selbst.
Ausdruck und Eindruck sind subjektive Empfindungen und keine Voraussetzung für belastbare Charakterstudien.
HACH: Beraten und trainieren Sie auch zum Thema Karriereplanung durch eine gute Handschrift?
Susanne Dorendorff: Eine charismatische Handschrift ist ein international anerkanntes Statussymbol.
HACH: Nach wie vor lernen deutsche Grundschüler das Schreiben erst mit dem Bleistift, dann mit dem Füllfederhalter. In anderen Ländern öffnet ein Kugelschreiber die Tür in die Welt der Handschrift. Ist das Schreibgerät wirklich so entscheidend, ob gerne und leserlich geschrieben wird?
Susanne Dorendorff: Kein Schreibgerät „öffnet kleinen Kindern die Welt der Handschrift“! Ausschlaggebend für die Freude am Schreiben ist allein, dass Stiftführung, Buchstaben und die Schreibbewegung erklärt werden … Die „Welt der Handschrift“ ist in Deutschland immer noch ein Rätsel. Kugelschreiber gehören nicht in Kinderhände. Für Anfänger ist der Bleistift gut geeignet, weil sie damit nach Herzenslust aufdrücken können, bis sie gelernt haben, dass die Buchstaben davon nicht besser werden. 😉
HACH: In Ihrer Kunst bringen Sie die Buchstaben zum Sprechen. Dabei haben Sie den Begriff visuelle Poetik geprägt. Schreiben transportiert dabei nicht nur reine Informationen, sondern auch Gefühle.
Susanne Dorendorff: Meine Schreibkunst ist dem japanischen Sho-do verwandt. Schreiben (am besten mit Pinsel) ist kunstfähig, weil die authentische Schreibbewegung die Ausdruckskraft des Menschen so stark transportieren kann, dass der Ausdruck seine eigene, künstlerische „Sprache“ entfaltet. Dann sagt man, dass das Geschriebene „spricht“. Diese Art zu Schreiben erfordert ein langes, ausdauernde Studium.
HACH: Gleichzeitig gibt es eine Revolution zum Thema Handlettering und Schönschrift.
Aber wo grenzt sich Handlettering von Schönschrift für Sie ab?
Susanne Dorendorff: Nicht nur für mich – für Alle: Schrift und Schreiben sind zweierlei.
Schrift (Typografie, Satzschrift, Kalligrafie) ist eine grafische Norm, ein Formenkanon (Ursprung ist die RÖMISCHE CAPITALIS [nur Großbuchstaben] – das lateinische Alphabet) auf den wir uns vor 2.000 Jahren (kulturell) geeinigt haben.
Schreiben mit der Hand ist ein psycho-physiologischer Vorgang, an dem mehr als alle Sinne beteiligt sind. Schreiben ist eine authentische, spontane, intuitive, höchst emotionale und flexible, vom Unterbewusstsein gesteuerte Bewegung, die variiert. Seine Buchstaben sind untereinander nicht identisch.
Handlettering und Kalligrafie (Buchstabenmalen und Schönschreiben) haben nichts, gar nichts – zumeist nicht einmal buchstäblich das geringste mit Handschrift gemein – was die 5 Haupteigenschaften der Handschrift ganz einfach belegen: Authentizität, Spontaneität, Intuition, Emotionalität und Asymmetrie (kurz: ASIEA) Handlettering und Kalligrafie verfügen über keine dieser Eigenschaften – im Gegenteil, beide Kategorien sind zwar buchstabenbasiert, werden jedoch konzipiert (vorgezeichnet) und transportieren grundsätzlich nicht die spontanen Gedanken des Zeichnenden, sondern Sprüche oder Zitate, sie dienen ausschließlich dekorativen Zwecken.
HACH: Liebe Frau Dorendorff! Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre Gedanken und wirklich interessanten Einwürfe zu diesem Thema Schreiben und Schrift. Für Ihr neues Projekt TIETUS wünschen wir Ihnen von Herzen sehr viel Erfolg!
Die Big Five des Schreibens bestimmen ihren Charakter
Seit ich die BIG FIVE < das sind die fünf Haupt-Eigenschaften der Handschrift „authentisch, spontan, intuitiv, emotional und asymmetrisch“ entschlüsselt habe, ist der Weg frei für ein neues Kunstformat. Erst die Kenntnis der spezifischen Schreib-Charakteristika erschließt mir die Fähigkeit, Schreiben als einen komplexen emotionalen Vorgang zu erfassen und umzusetzen.
Am besten erkläre ich es auf diesem Video
Jungs lernen anders als Mädchen. Also unterrichtet sie auch so!
Jungen denken systemisch und möchten strukturierte Verhältnisse. Vor allem in der Schule. Sie stellen Fragen, die sie beantwortet haben möchten. Bleibt man ihnen die Antworten schuldig, verlieren sie die Lust am Lernen. Alle – auch Erwachsene – lernen durch Erkenntnisse. Alphabetisieren ist da keine Ausnahme. Wer das nicht befolgt und Schüler im Unterricht sich selbst überlässt, führt die ihm anvertrauten Kinder in die Irre. Was leider allzu oft geschieht.
Warum kann ich nicht schreiben?
Antwort: Du kannst schreiben. Dir wurde die Technik des Schreibens nur nicht richtig erklärt. In der Schule musstest du dir wahrscheinlich zuerst die Leseschrift (die auch Druck- oder Buchschrift genannt wird) selbst beibringen und dann musstest du allein eine Schrift einüben, die keine Schreibschrift ist. Schreiben hast du also nie gelernt. Deine Handschrift wartet noch auf dich.
Wie funktionieren Buchstaben?
Antwort: Wir denken in Begriffen, die aus Lauten zusammengesetzt sind. Das nennen wir sprechen und Sprache. Laute sind Sprachzeichen, die Buchstabe heißen. Buchstabenlaute werden beim Sprechen zu einem Begriff, einem Wort-„Bild“ zusammengezogen, wie zum Beispiel das Wort ich. Ich wird nicht „ih-zeh-ha“ gesprochen, sondern „ij“ – und das Wort wird geschrieben, wie man es denkt: in einem Zug … nicht abgehackt i-ce-ha. Und weil du mit der Hand so schnell schreiben willst, wie du denkst, muss es zwischen den Lauten eine Brücke geben, über die der Lautklang in den anderen hineingleiten kann. Du schreibst ich so, wie du ich denkst, als drei ineinanderfließende Laute.
Warum schreiben wir überhaupt?
Antwort: Weil wir unsere eigenen Gedanken festhalten möchten und um neue Gedanken folgen zu lassen … um uns zu erinnern … um eigene Gedanken anderen Menschen zeigen zu können.
Warum muss man Buchstaben verbinden?
Antwort: Damit die Wörter so fließen, wie die Gedanken fließen und wir den Gedanken so schnell wie möglich neue folgen lassen können. Die Verbindung zwischen den Buchstaben macht das Schreiben schnell. Schreiben ist denken in einer ununterbrochenen Linie. Auch dort, wo die Zeichen auf dem Papier nicht verbunden sind, fließt der Gedanke in der Bewegung des Stiftes weiter, so dass die Linie „unsichtbar“ weitergeschrieben wird. Die Verbindung ist der Zündschlüssel für Schnellschreiber.
Warum muss man auf einer Linie entlang schreiben?
Antwort: Auf einer geraden Straße fährt es sich leichter als auf einer kurvigen Berg-und-Tal-Bahn. Ebene Strecken sind die effizientesten (schnellsten) – darum musst du bei b, o, ö, r, v, w und x (die oben verbunden werden) aufpassen. Die Orientierung bleibt aber immer bei der Grundlinie.
Warum muss ich mit Füller schreiben?
Antwort: Musst du nicht. Mit Füller schreiben ist ein deutsches Phänomen. Tintenroller – ohne Griffmulden! – sind für Jungs genauso gut.
Dass viele Jungen unter dem absenten Schreib-Rechtschreibunterricht besonders zu leiden haben, ist kein Geheimnis. Jungs sind keine Mädchen (sic!). Sie lernen anders. Sie setzen sich nicht hin und üben schönschreiben. Das sagt ihnen nichts. Sie wollen wissen, warum sie etwas tun sollen und was sie davon haben. „Eine schöne Handschrift“ ist kein jungenhaft vielversprechendes Ziel. Wird ihnen hingegen das Schreiben richtig erklärt, kann jeder Junge sich (auch später noch) eine gute Schreibtechnik aneignen.
Die sagt, dass schlechte Handschriften auch bei Jungen keine Veranlagung sind und dass es die grafomotorische Störung beziehungsweise die Schreibschwäche nicht gäbe, brächte man den Kindern schreiben gleich richtig bei. Kinder lernen immer nur das, was ihnen angeboten wird. Die „Störungen“ und „Schwächen“ werden Kindern erst durch falsche Information antrainiert. Gehirne nehmen, was kommt, und verschalten. Nervenzellen im Gehirn können nicht wählen und schon gar nicht selbsttätig korrigierend eingreifen und verbessern, dazu fehlt ihnen die Voraussetzung. Sie stellen ausschließlich Verbindungen her und sorgen dafür, dass Informationen fließen. Das allein ist ihre Aufgabe. Stellen Sie sich vor, Neuronen und Synapsen funktionierten in etwa wie Stecker und Dosen, die zusammengefügt werden müssen, damit der Strom fließt. Ob mit dem Strom anschließend der Backofen, die Bohrmaschine oder eine Zahnbürste betrieben wird, steht nicht in der Macht von Stecker, Dose und Strom. Stellt sich später heraus, dass der Mensch sich mit der Bohrmaschine rasiert, den Kuchenteig mit der Zahnbürste rührt und die Backofenschnur dem Kühlschrank gehört, dann kann man daraus nicht einfach eine „motorische Stromstörung“ machen und hoffen, alles regelt sich von allein. Genauso ist es mit dem Schreibenlernen. Im Kopf verschalten sich Synapsen buchstäblich – in bestem Sinne des Wortes – nur nach Vorschrift. Eine verknüpfte Schreibbewegung, die sich im Ergebnis als falsch herausstellt, ist nicht die Schuld des Gehirns. Es ist der Fehler des Lehrers, der Lehrerin, der Eltern oder der Erzieher, es ist nicht die Schuld oder der Fehler des Kindes.
Das bedeutet, Schüler machen keine falschen Schreibbewegungen, sondern nur die, die sie gelernt haben (oder sich selbst beibringen mussten). Sie hatten vorher keine Störung, aber hinterher auch nicht und ganz gewiss handelt es sich um keine krankhafte Veranlagung. Erwachsene müssen bei Kindern das korrigieren, was ihnen selbst zuvor falsch beigebracht wurde. Deutlicher noch: Wer Schulanfängern Druckschrift malen als schreiben lernen verkauft und es kurz darauf wieder verbietet, um nun das richtige Schreiben zu lehren, der verursacht bei Kindern Schrei(b)krämpfe.
Für Jungen wäre schreiben lernen kein Problem, hielte man es beim Schreibunterricht wie beim Sportunterricht. Dort boxt nicht Frau gegen Mann – dort bleibt man unter sich. Weil Männlein und Weiblein naturgemäß unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, wird konsequent zwischen den Geschlechtern unterschieden: Jungen laufen schneller als Mädchen, können weiter springen und schwerere Gewichte stemmen, deshalb verläuft zwischen den Bewertungskriterien eine unsichtbare Mauer. Wieso nicht auch beim Schreiben? Wieso gilt die Durchschnittsgeschwindigkeit der Mädchen beim Erlernen des Schreibens als Standard für Jungen? Müsste dann folgerichtig nicht auch der nächste Marathonlauf nach diesen Kriterien bewertet werden – dieser und alle anderen Disziplinen, in denen Frauen aufgrund ihrer angeborenen „Leistungsschwäche“ gegen Männer chancenlos wären und permanent verlieren würden? Vielleicht wäre eine solche Vorführung mal ganz sinn- und wirkungsvoll. Denn dann würden die Frauen und Mädchen endlich nachfühlen können, wie frustriert und deprimiert viele Jungen durch die Schulzeit gehen. Jungen mit schlechter Schrift müssen in jedem Schulfach mit Punktabzug rechnen und ihre schulische Leistung wird deshalb oft nicht so bewertet, wie es ihrer intellektuellen Leistung entspricht.
Die Erkenntnis, dass Jungen physisch und psychisch anders beschaffen sind als Mädchen, ist so alt wie die Menschheit. – Wieso wird dieses Wissen beim Schreibenlernen außer Kraft gesetzt?
Dass so furchtbar viele Jungen zu Schreibverweigerern werden und Angst vorm Schreiben haben, ist also keine Frage kollektiver Minderbegabung, zurückgehender männlicher Intelligenz oder gestörter Sensomotorik. Es ist ganz einfach – und ich weiß, das hört sich nicht gut an –, aber es ist tatsächlich das Resultat fehlender Rücksichtnahme auf die Jungen.
Einer der Wissenschaftler, die unsere Theorie teilen, ist Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther
Ebenso wie André Stein es ist seinem Vortrag Leben und Lernen mit Begeisterung anregt.
Lernen Jungs anders als Mädchen?
Buch-Illustration Die Möwe Jonathan
Das Buch über das Fliegen in Freiheit von Richard Bach (Ullstein Verlag) ist mit 24 Illustrationen von Susanne Dorendorff im Oktober 1989 erschienen und war bis 2004 (mit neun Auflagen und 40.000 Expl.) im Handel. Seitdem ist es ein begehrtes Sammlerstück. Die Möwe Jonathan-Illustrationen ist ein frühes und in sich geschlossenes Werk.
Susanne Dorendorff schrieb 1989 auf, was sie mit der Möwe Jonathan erlebte.
Haben Sie schon mal eine Möwe im Flug eine Feder verlieren sehen? Ich nicht. Sie liegen immer schon da.
Ich bin auf der Suche :nach einer, ich brauche sie für Jonathan: Eine Feder für die Möwe. Und Nordseewasser. Unbedingt. Die Feder muß zum Schreiben geeignet sein, nicht solche, wie sie millionenfach an Stränden und in Häfen herum liegen, versalzen, verdreckt, zerschmettert, steinzermalmt und ölig. Absolut unbrauchbar. Es muß eine Feder sein, die zu ihm passt.
Natürlich könnte es zur Not auch eine Gänse- oder Entenfeder tun. Aber schnelle Kompromisse mache ich nicht: Authentizität auch im Kleinen. Also vertiefe ich mich, solange keine Federn in Sicht sind, in Jonathans Charakter, beziehungsweise in das, was der Autor der Möwe Jonathan, Richard Bach, mir möwenmäßig mitteilt. Ich soll für den Ullstein Verlag bis zum Herbst über zwanzig Illustrationen für die Geschenkausgabe des Kultbuches Die Möwe Jonathan fertig haben. Und deshalb schippere ich mitten im Horizont der norddeutschen Küste davon. Bald sind wir in England. Wir, das sind eine Hand voll Seebären und ein kleiner Frachter, der das ganze Jahr über an der Küste unterwegs ist und mich mitnimmt. Es ist Sommer. Ich will das Flugverhalten der Möwen studieren. Da sollte es auf See nicht zu kalt sein. Meist sitze ich auf dem „Sonnendeck“. Das ist die höchste Plattform an Bord, direkt am Schornstein, wo es mächtig bollert wenn die Maschine läuft. Was sie meistens tut. Hier kann ich mich am besten in das Gefühl hineinversetzen „mitten im Horizont“ zu sein. Ab und zu kommt eine Möwe vorbei, dreht den Kopf und schaut zu mir runter. Dann kreischt sie: „Was willst Du hier? Hau ab!“ Seevögel sind Raufbolde! Ich bin froh, daß sie nicht im Sturzflug auf mich niederfährt und mir zack mit ihren langen schmalen Flügelspitzen durch die Haare fährt. Möwen haben auch beindruckend große Schnäbel.
Doch dessen ungeachtet: Ich bin gern hier auf „hoher See“, mit furchtbar viel Wasser unter und noch viel mehr Himmel über mir. Und Jonathan schreit nach mir: „Was willst Du hier?“ Ich kann ihn hoch über mir seine flügelschlaglosen Serpentinen segeln sehen.
Wie gesagt, ich bin nicht ganz freiwillig hier, halb zog es mich, halb sank ich hin. Was mich zog war das Freiwillige an dieser Reise, ein Kindheitstraum, den ich, elbwassergetaufte, waschechte Hamburgerin, unbedingt verwirklichen wollte: Eine deftige Seereise mit allem Drumunddran. Das Nichtganzfreiwillige das mich lockte, ist der Jonathan-Auftrag. Ich kann nur illustrieren, was ich vorher verinnerlicht habe. Deshalb studiere ich jetzt den Möwen-Flug und den Bachschen Text, und dann versuche ich, gefühlsmäßig und illustratorisch alles unter einen Hut zu bringen. Ich bin hier also nicht zum Spaß. Obwohl, wenn es so richtig stürmt, und ich die Nacht nur heil überstehen kann, wenn ich auf der Brücke neben dem Steuermann festgezurrt bin, von wo aus ich den Silberstreif am Horizont taumelnd tanzen und verrücktspielen sehen kann, dann entziehe ich mich diesem Abenteuer nicht. Und das macht Spaß! Jonathan. Ist er ein charismatischer Überflieger? Mutiger Individualist? Sinnbild des zielstrebigen Karrieristen? Führungspersönlichkeit mit Sensibilität und Gespür für verantwortungsvolles Handeln? Genussvoller Grenzüberschreiter? Ein Sichselbstüberwinder? Ein Sichselbst-überschätzer? Oder ein Fragender? Ein Pionier? Ist er schön? – hässlich? Sanft oder herrisch? Was sagt er?
Jonathan ist der Traum von Freiheit, der in uns allen lebt. Jeder hat etwas mit ihm gemein. Auch, wenn es nur Sehnsucht ist. Jonathan fliegt für jeden, der sich in ihm spiegeln kann.
Wie meine Jonathan-Feder aussehen soll, ist nicht so wichtig, sie muß nicht weiß sein. Aber sie sollte vielleicht an einem besonderen Platz gefunden werden. Nicht einfach nur vom Boden aufheben oder aus dem Wasser fischen. „Sie sollte irgendwie besonders sein“ denke ich und vergesse es gleich wieder. Ich muß die Texte auswählen, die sich zum Interpretieren eignen.
Du darfst nicht aufgeben – damit beginnt meine Arbeit. Insgesamt sollen es vierundzwanzig farbige und fünf schwarz-weiße Illustrationen werden. Ich mische meine Farben mit Nord-seewasser, mit Elbwasser, mit Wasser aus der Irischen See, Karibikwasser von den Inseln unter dem Wind und mit einem Schüsschen Mittelmeerwasser.
Ich schreibe mit einer weißen Möwenfeder und mit dem Federkiel eines echten Pelikans von der Insel St. Luca. Auch mit Pinseln aus Japan und ganz normalen Buntstiften wird Jonathan illustriert. Am Aufregendsten aber war das Schreiben mit Kerzenwachs: „Licht des Verstehens“, weil dabei der Pinsel in Flammen stand.
Ich hatte mir ein Teelicht hingestellt, dessen Wachs geschmol-zen war und eine kleine Flamme leuchtete. Ich tauchte den Pinsel ins Wachs und schrieb Li – doch das Wachs erstarrte zu schnell, so daß ich den Pinsel für das fehlende cht erneut eintauchen mußte. Im Eifer des Gefechts vergaß ich, dass das Wachs am Pinsel nicht nur schmilzt, wenn man es in die Flamme hält…
Von entscheidender Bedeutung ist es aber nicht, womit ich schreibe. Für meine Illustrationen gibt es keine Rezeptur. Die Handhabung der Geräte und die Farbgebung lassen sich nicht auf eine Gebrauchsanweisung reduzieren. Das einzige was zählt ist man selbst und das Vermögen, tiefen Empfindungen Gestalt geben zu können. Das kann photographisch, gemalt, getanzt oder gesungen sein und ist immer an den authentischen Impetus, an die Intuition gebunden. Allein die innere Kraft des Menschen bewirkt den Ausdruck eines Werkes, das als Kunst bezeichnet werden kann. Ein Werk, das nicht „spricht“ führt kein Eigenleben. Darin sind Kunstwerke Menschen sehr ähnlich.
Meine Arbeit ist am treffendsten mit dem Komponieren eines Musikstücks zu vergleichen. Noten sind ebenso abstrakte Zeichen wie Buchstaben und brauchen den Komponisten der sie zusammen bringt. Zu wirklichem Leben, zu Lebendigkeit und Schönheit erweckt sie jedoch erst der Klang, das Spiel des Musikers, seine Interpretation. Ich bin Komponist und Musiker zugleich. Ich bringe das Wort mit Pinsel und Farbe zu Papier und mein Gefühl bringt es zum Klingen.
Die bibliophile Ausgabe der Möwe Jonathan erschien im Oktober 1989, und blieb fünfzehn Jahre und neun Auflagen lang im Handel. Was ich, als ich mich damals auf dem Sonnendeck des kleinen Frachters durch den Horizont schaukeln ließ, nicht einmal zu ahnen wagte.
Es war übrigens der Kapitän des kleinen Frachters, der mir die Pelikanfeder aus der Karibik mitbrachte. Er machte Urlaub in einem kleinen Bungalow auf der Insel St. Luca und beobachtete eines nachts, wie ein sterbender Pelikan sich langsam hinschleppend, wie ein Schatten auf seine Hütte zu bewegte. Am nächsten Morgen lag der Vogel tot unter seinem Fenster. „Als wollte er noch etwas mitteilen“, dachte der Kapitän, brachte das leblose Tier mittags zurück zum Strand, wo er es im feinen, schneeweißen Karibiksand begrub. Bis auf zwei Federn. Zwei wunderschöne Flugfedern gab er mir. „Schreib damit“, sagte er „dann lebt er weiter.“
…und das tut er! Auf Seite 92 (hier oben rechts) Die Zeit ist nicht mehr fern, da ich […] auf deinem Strand erscheinen und die zeigen kann, was Fliegen in Freiheit bedeutet.
Nachtrag 2021.
Inzwischen lebt auch der Kapitän nicht mehr. Ob er jetzt an meinem Strand erscheint und mir zeigt, was Fliegen in Freiheit bedeutet? Ganz bestimmt.
Warum Unterschrift-Coaching?
Mein Coaching ist sehr diskrete, professionelle Beratung. Keine Geschäftsidee wie Nachhilfe, Kalligrafie oder Handschrift-Design.
Wem die Schule richtiges Schreiben lernen verweigerte, dem steht diese Fähigkeit als Erwachsener natürlich nicht zur Verfügung. Das ist nicht nur ein Skandal, das schädigt die Selbstachtung und dadurch die Persönlichkeitsentwicklung.
Seit über zehn Jahren sehe ich mit an, wie demütigend es für Führungskräfte, Prominente und für jeden normalen Menschen ist, wenn er nur über eine rudimentäre Schreibtechnik verfügt. Da ist das persönliche Gespräch über die Unterschrift oft eine willkommene Gelegenheit, auch über die eigene Handschrift sprechen zu können.
Dass es in Deutschland ca. 30 Mio. Männer und Frauen gibt, die unter ihrer Handschift leiden, mag tröstlich sein. Aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, sondern müssen es ernstnehmen. Also gibt es mein Coaching.
Ich habe bisher keinen einzigen Namen und kein Erlebnis unerlaubt preisgegeben, obwohl mir schon geschrieben wurde: „Sie haben mir ein neues Leben geschenkt!“ Es gäbe Wunderbares zu berichten, wenn gestandene Männer nach sechs bis acht Wochen eine fließende Schreibtechnik beherrschen. Das ist dann endlich ihre authentische Handschrift und eine Unterschrift die sie lieben. Weil sie erkennen „Das bin ich.“
Liebeserklärung an meine Handschrift
Sie ist echt.
Es ist ihr egal, ob ich sie mit Kuli, Bleistift, Filzstift oder Füller schreibe, sie zeigt sich immer mit Gefühl.
Ich kann ihr nicht das Geringste vormachen, sie lässt sich nicht täuschen Sie ist sensibel und aufrichtig.
Ich bin ihr ausgeliefert und beherrsche sie zugleich. Sie ist nichts ohne mich, und ich nichts ohne sie. Sie wird mich nie verlassen. Sie weiß genau, wer sie ist. Sie verfolgt mich und ist bei mir wie ein Schatten. Manchmal ist sie grässlich hässlich. Gelegentlich schwingt sie sich auf und tanzt wie ein Schmetterling. Sie ist irrational. Emotional. Individuell und so wunderbar, wie jede andere Handschrift auch.
Die Leute sagen, sie sei »Ausdruck meiner Persönlichkeit«. Ich sage, sie ist hundert Mal mehr als das. Sie sagt mir, wie ich mich fühle. Sie antwortet mir, wenn Menschen nichts mehr sagen können. Sie trauert mit mir. Sie ist stärker als ich selbst. »Ausdruck der Persönlichkeit« ist nichts dagegen. Was ist das überhaupt, »Persönlichkeit«? Die Wissenschaft weiß es noch nicht, ist ihr aber auf der Spur.
Persönlichkeit ist eine Phrase, eine schillernde Worthülse. Aber Ausdruck hat sie – und wo Ausdruck ist, da ist auch Eindruck. Den macht sie.
Ob man will oder nicht, jede Handschrift macht Eindruck. Meine ist da keine Ausnahme. Jeder Mensch hat seine eigene Lebensschrift. Aber nur selten sieht man, dass sie auf Gegenliebe trifft. Noch seltener wird sie überhaupt gemocht. Meist führt sie ein Schattendasein und wird verachtet. Tja, und so fühlt sie sich dann auch. Wie kann eine Handschrift strahlen und schön sein, wenn sie ständig missachtet, niedergemacht und schlechtgeredet wird? Sie kann es nicht. Kein Mensch kann das. Aber einer Handschrift wird das zugemutet. Ihr bleibt oft nichts als ein Dasein in Isolationshaft. Manche Handschrift versinkt im Keyboard des Computers, ohne jemals gelebt zu haben. Weil ihr Lebensgefährte ihr niemals Leben eingehaucht hat.
Vielleicht weiß er nichts von ihr. Nichts von ihrer Schönheit, ihrem Charisma, ihrer Strahlkraft, ihrer grafischen Brillanz. Und er ahnt nicht einmal, was alles aus ihr hätte werden können. Hätte er sie doch nur einmal gelassen – losgelassen, einfach so drauf los. Doch er weiß nichts über sie und nichts von ihr, weil ihm vom ersten eigenen Buchstaben an suggeriert wurde, seine Schrift sei schlecht, sei ungleichmäßig und eigenwillig und tanze auf der Linie statt ordentlich zu sein. »Das wird nie was!«, und daran glaubt er. Hätte er gewusst, dass seine Schrift sich nicht schönschriftmäßig entwickeln darf, weil sie dann ihre Einzigartigkeit verliert, dann hätte er heute ein anderes Verhältnis zu ihr. Bestimmt würde er sie mögen. Sehr sogar.
Storytelling -1: Café to go – oder: Er versteht sie nicht.
Ich komm rein und rechts an der Fensterseite tobt ein Beziehungsdrama. Sie gegen ihn. Morgens um 8h! Geht’s noch? Außer uns ist nur noch der Barista da.
Sie ist nicht wirklich giftig. Mehr entschlossen. Warum sagt er nichts? Schuldbewusst? Fremdgegangen? Anderes Mädel angeschaut? Angefasst bestimmt nicht, das würde er bei dieser Frau nicht überleben. Da läge er schon längst mit einem Pappschild am großen Zeh im Gefrierfach. Garantiert.
Er legt seine rechte Hand auf ihr Knie. Das hilft aber nicht. Sie reagiert nicht. Sie ist in Rage. Er guckt zu. Ich könnte mir vorstellen, sie spricht Ausländisch und er versteht nur Bahnhof. Sie ginge gut als Italienerin durch. Lange, gewellte, schwarze Haare, sieht echt gut aus, Mitte dreißig und, wie leicht zu erkennen ist, sehr temperamentvoll. Eine orientalische Haremsdame ist das bestimmt nicht. Aber auch keine deutsche Grundschullehrerin.
Seine Hand liegt noch immer auf ihrem Knie.
Nach Handgreiflichkeit sieht es aber nicht aus. Sie schreit nicht. Sonst könnte ich sie javerstehen. Akustisch zumindest. Wie macht die das bloß? Lautlos jemanden anmöbeln. Die Salven, die sie durch ihre Schneidezähne zischt, muss man wohl auch gar nicht hören. Er beteiligt sich
bewegungsarm. Vielleicht ist er ja gehörlos und sie schäumt in Gebärdensprache. Müsste sie dann nicht mehr mit den Fingern fuchteln?
Hab ich noch nie gesehen, dass Taubstumme sich anschreien. Wäre ja auch irgendwie Quatsch. Bis das Wort Arschloch fertig buchstabiert ist,
ist doch keiner mehr wütend. Fragt da noch jemand: „Wie meinst du das?“ Echt nicht. Dabei fällt mir die Autofahrersprache ein und der Stinkefinger. Interessant! Tonlose Kurzzeitbeschimpfung für Nursehende? Wie lernen Taubstumme oder Taube oder Stumme eigentlich das
Alphabet? Wie lernen sie Schreiben, ich meine, wie erklärt man ihnen, wie Apfel mit der Hand geschrieben wird? Ich sage ja immer, die Handschrift ist naturgegeben wie die Stimme, also vorgeburtlich festgelegt. Genetisch-fließend-gut. Dabei fällt mir jetzt auf, dass zum Schreiben nicht nur die Finger, sondern auch noch die Ohren gehören. Mit Muscheln und mit Hammer und Amboss. Ordentlich was los da zu beiden Seiten des Kopfes. Von Ohrringen rede ich extra nicht. Nur von den Knorpeldingern links und rechts. Stimmt schon. Nur Stimme, Finger und Augen, ohne Gehör, das bringt nichts. Man muss wissen, wie sich die Buchstaben anhören, wenn man sie lernt. Sie selber geben ja keine Töne von sich. Also muss es jemand sagen, vor-sagen. Das ist wie bei den Noten. Die
klingen ja auch nicht selbsttätig. Also: Wie lernen Taubstumme lesen? Wie lernen sie Druckschrift lesen und wie lernen sie Schreibschrift, wie schreiben sie? Oder tippen sie nur? Ich meine, auf der Tastatur. Das muss ich googeln.
Dabei fällt mir ein, neulich saßen drei Personen und ein Hund an dem Tisch, wo sich jetzt das Pärchen an die Gurgel geht. Also, der Hund saß natürlich nicht mit am Tisch, der saß drunter und war an der Leine. Die drei, ein Mann und zwei Frauen, waren taubstumm. Der Hund nicht. Das ist jetzt kein Scherzgedanke, denn der Hund, das war jedenfalls mein Eindruck, der Hund nutzte es weidlich aus, dass die Drei ihn nicht hören konnten und kläffte wie bekloppt. Ich fand das spannend. Frage: Wie lange dauert es bis einer was sagt? Ich meine, einer der Gäste. Ist ja langsam Frühstückszeit und der Laden füllt sich. Kläff, kläff. Und was passiert dann mit dem Topfreiniger auf vier Beinen?
Die Fingerakrobatik der Nichtsprecher*innen ist faszinierend. Ist die eigentlich international? Wie viele Buchstaben gibt es in Fingersprache – auch nur 30 Großbuchstaben? Kleine brauchen sie janicht. Oder sind das Silbenzeichen wie im Japanischen oder Bilderwörter wie bei den Chinesen? Egal. Mit Fingerübungen brachten sie den Turbokläffer jedenfalls nicht zum Stillstand. Herrchen und Damchen (nebenbei: wieso heißt es immer nur Herrchen und Frauchen statt Männchen und Frauchen?), mrissen an der Leine oder schlugen nach Bello, wegen der ärgerlichen Blicke. Kläff, kläff, grrrr-grrrr! Kläff, kläff. Und nun? Hier macht sich das Sprichwort Wer nicht hören kann, muss fühlen! spürbar selbstständig, nämlich in: Wer nicht hören kann lässt fühlen.
So ist das, wenn man nicht hört oder nicht gehorcht. Wenn sie wiederkommen, frag ich sie wie das geht mit dem Schreiben lernen.
Zurück zu heute Morgen und der imposanten Bella am Fenster.
Inzwischen ist sie auf der Empörungs-Skala von 1 bis 10, locker über 10 am Anschlag. Er versteht immer noch nicht worum es geht. Am liebsten würde ich hingehen und ihn kurz mal schütteln:
„Karlheinz, sie will nicht mehr! Begreif das endlich! Du kannst gee-hänn.“
Die kocht zu Hause bestimmt scharf!
Schade, dass ich von diese südländisch-feministische Selbstbehauptung keine Foto auf Youtube posten dar… u. Auf mein iPhone würde er bestimmt sofort reagieren. Gute Idee Ach, schade. Sie stehen auf … und gehen langsam raus.
Gemeinsam!
Die Kaffeebecher waren „to go“ und fliegen in die Tonne.
Sie steigen in dasselbe Auto.
Noch.